Rollentausch und Rollenwechsel im Katathymen Bilderleben

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von Jutta Fürst

 

Abstract

Role reversal and role taking in the „guided affective imagery”. The common links between the „guided affective imagery” and the psychodrama are shown by using a model. The guided affective imagery, which took over the role reversal from psychodrama, considers the technique to be effective in achieving a structural change in the object relationship. Within the method, the role reversal is used in a similar way as in Monodrama. Reflections about differences between the two methods and a wider view after the role reversal with another method mark the end.

Zusammenfassung

Anhand eines Modells werden die Gemeinsamkeiten zwischen dem Katathymen Bilderleben bzw. der Katathym Imaginativen Psychotherapie und dem Psychodrama veranschaulicht. Im Katathymen Bilderleben wird der Rollentausch, der aus dem Psychodrama übernommen wurde, als Technik betrachtet, die auf strukturelle Veränderungen auf der Beziehungsebene abzielt und in ähnlicher Form angewandt wird, wie der Rollentausch im Monodrama. Überlegungen zu den Unterschieden zwischen den beiden Methoden und eine erweiterte Sichtweise durch den Rollentausch mit einer anderen Methode bilden den Schluss.


 

Rollentausch und Rollenwechsel im Katathymen Bilderleben

Psychodrama und Katathymes Bilderleben (KB) oder Katathym Imaginative Psychotherapie (KIP), wie die Methode in Österreich bezeichnet wird, werden immer wieder miteinander in Verbindung gebracht (Leutz 1971). Auch die Bezeichnung Symboldrama, die manchmal für die KIP verwendet wird, lässt Gemeinsames vermuten.

Die beiden Methoden haben sich unabhängig voneinander entwickelt. Moreno experimentier- te mit einer Form des katathymen (= aus der Seele kommenden) Psychodramas bereits in den vierziger Jahren (Enneis & Moreno 1950), dem so genannten Hypnodrama.

H.C. Leuner (1955) hingegen entwickelte das Katathyme Bilderleben, den gelenkten Tag- traum in den Fünzigern und grenzt sich von anderen ähnlichen Verfahren (Desoille 1945) und Happich (1932) durch die stärkere Strukturierung und den systematischeren Aufbau ab.

Obwohl Leuner die psychoanalytische Theorie der Methode zugrundelegt, verbindet eine wesentliche theoretische Annahme Leuner mit Moreno, nämlich dass die Seele danach drängt sich selbst darzustellen.

Beide Methoden arbeiten mit einer Bühne auf der eine Szene betrachtet werden kann. Auf der äußeren Bühne des Psychodramas ist der Patient Regisseur, Protagonist und Antagonist.

Auf der inneren Bühne des KIP, entstehen die Szenen, zwar thematisch angeregt, aber ohne bewusstes Zutun und der Patient ist wie der Betrachter eines Films. Aus eigenem Antrieb oder auf die Intervention des Therapeuten ist es ihm möglich, aktiv in das Geschehen einzugreifen.

Folgendes Modell kann zur Veranschaulichung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede dienen.

Grafik 1: Modell zur Veranschaulichung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Psychodrama und KB

Die äußere Bühne ist die Lebensbühne im Shakespeareschen Sinn. Wir spielen auf ihr unsere Rollen als Mütter, Väter, Kinder, Junge, Alte usw. Wir versuchen unsere Vorstellungen und Ideen umzusetzen. Unsere Erfahrungen und Erlebnisse werden in unserem Speicher oder Fundus abgelegt.

Auf der inneren Bühne unserer Vorstellungen bereiten wir zum Teil bewusst unsere späteren Handlungen vor oder lassen frühere Szenen an uns vorbeiziehen. Manchmal bei reduziertem Bewusstsein, im Traum oder Trance entstehen auch Szenen ohne unser Zutun auf der inneren Bühne.

Die psychodramatische Bühne kann als Bindeglied zwischen innerer und äußerer Bühne be- trachtet werden. Sie ist der Boden, auf der die Szenen der inneren Bühne unmittelbar in ei- ner „als ob“ – Realität umgesetzt werden können. „Psychodrama ist der Versuch die Gegensätze von Phantasie und Realität zu überbrücken und die ursprüngliche Einheit wieder- herzustellen“ (Moreno zit. nach Leutz 1971, S. 119, Übers d. Autorin).

Die Frage der Psychodramatikerin an den Protagonisten gerichtet: „Fällt Dir dazu eine Szene ein?“ lässt den Protagonisten eine Szene von der inneren Bühne abrufen. Nur im spontanen Stehgreifspiel stammt das Material direkt aus dem Fundus ohne Umweg über die innere Bühne der Vorstellung.

Die KIP stellt den Patienten mit ihrer Methode quasi als Zuschauer an den Rand der inneren Bühne und lässt den Patienten in seiner Vorstellung in die Szene eintreten und dem Therapeuten, der keinen Zugang zu diesem inneren Theater hat, berichten.

Aus dieser unterschiedlichen Konstruktion und der zugrundeliegenden Theorie heraus entwickelten sich zwangsläufig verschiedene Techniken.

Für das KB wurde von Leuner (1980) eine Vielzahl von Techniken entwickelt, die gezielt auch auf den verschiedenen Stufen der Bildentwicklung eingesetzt werden können.

Ladenbauer (1999) unterscheidet Strategien, unter denen er allgemeine Prinzipien der Einflussnahme versteht und Techniken, die handwerkliche, reflektierte Umsetzungen in Einzel- schritte darstellen. In weiterer Folge gliedert Ladenbauer in Techniken mit passiver und aktiver Haltung. Letztere können zur Beeinflussung der Struktur oder des Inhalts verwendet werden.

Als Strukturen sind Raum, Zeit, Sinnesqualitäten und Beziehung zu betrachten. Man kann hier Parallelen zu den „Universalia“ Morenos, nämlich Zeit, Raum, Realität und Kosmos, entdecken.

Die Techniken der Identifikation, der Rollenübernahme und des Rollentausches werden als Techniken betrachtet, die auf strukturelle Veränderungen auf der Beziehungsebene abzielen.

Sowohl Leuner (1994) als auch Ladenbauer (2000) sprechen von Rollentausch, wenn der Patient dazu eingeladen wird, in die Rolle seines Gegenübers zu schlüpfen und in einen Dia- log zu treten, während bei der alleinigen Rollenübernahme (= Rollenwechsel) die dialogische Begegnung fehlt.

Die Technik des s.g. Rollentausches wurde aus dem Psychodrama übernommen und erst zu einem späteren Zeitpunkt als mögliche Technik in die KIP eingeführt, nachdem etliche positive Erfahrungen damit gesammelt wurden.

Leuner (1994): „Ein phantasiertes Wechselgespräch kann durch einen Rollentausch im KB eine Erweiterung erfahren, analog dem Rollentausch im Psychodrama Morenos. Voraussetzung ist naturgemäß, dass der Patient sich ein Wechselgespräch vorzustellen vermag. Aber auch wenn das nicht der Fall ist, bietet der Rollentausch doch die Möglichkeit der Identifikation mit dem Gegenüber oder dem „Gegner“ (und damit eine Erweiterung des Horizontes eigener Einsichten). Die optische Wahrnehmung im KB, Gestik und Mimik des Gegenübers und naturgemäß im Rollenspiel der eigenen Person zu beobachten, ist förderlich. Die Realitätsnähe derartiger Szenen ist für den Betreffenden meist überraschend und kann einen ho- hen Grad an Evidenz und deshalb Überzeugung haben.“

Grafik 2: Protagonist und Hilfs-Ich in der Rolle des Antagonisten tauschen

Da es sich beim stellvertretenden Rollentausch im Psychodrama um die Arbeit des Protago- nisten an sich selbst handelt und das Hilfs-Ich durch den Rollentausch mit dem Protagonis- ten oft verwirrt wird und sich nicht auf seine eigentliche Rolle konzentrieren kann, sind Psy- chodramatikerinnen wie Zerka Moreno oder Verhofstadt-Denève (2000) dazu übergegangen dem Protagonisten ein Doppel zur Seite zu stellen, das immer dann dessen Rolle über- nimmt, wenn der Protagonist in die Rolle des Dialogpartners wechselt. Dadurch ist der Pro- tagonist zwar abwechselnd in seiner und in der Rolle des Gegenübers, aber es kommt nicht zu einem vollständigen Rollentausch mit dem Mitspieler.

Grafik 3: Rollentausch mit Hilfe eines Doppels für den Protagonisten

Das Hilfs-Ich in der Rolle des Antagonisten kann sich voll und ganz auf seine Rolle konzentrieren. Der Doppelgänger, dessen Rolle von einem Teilnehmer oder dem Co-Leiter übernommen wird, übernimmt beim Rollentausch die Rolle des Protagonisten und kann aus dieser Rolle auch in der Aufarbeitungsphase Feedback geben. Im eigentlichen Sinn handelt es sich nicht mehr um einen Rollentausch, sondern um eine Rollenübernahme der Antagonistenrolle, also einen Rollenwechsel. Oder eine Beschreibung dieses Vorgangs mit Morenos (1920) Worten:

„Das bin Ich
dort wie hier.
Das bist du:
Ein ich von mir.“

Ähnlich erscheint der so genannte Rollentausch in der KIP. Der Patient wird aufgefordert in die Rolle des aktuellen Interaktionspartners zu wechseln. Im Unterschied zur oben beschriebenen Technik sieht sich der Protagonist in der Rolle des Antagonisten tatsächlich sich selbst gegenüber und nicht einem Stellvertreter seiner selbst. Der Antagonist verschmilzt mit der eigenen Person.

Auch im Monodrama wird mit einer ähnlichen Form der Rollenübernahme gearbeitet, da kein Hilfs-Ich zur Verfügung steht. Es fehlt in diesem Fall auch noch das reale Gegenüber, jener Mitspieler, der die Rolle des Protagonisten beim Rollentausch übernimmt. Dieses Gegenüber muss in der Vorstellung eingesetzt werden. Das Korrektiv des anderen, eines Mitspielers, dessen zusätzliche Wahrnehmung und Erfahrung fehlt dadurch.

Grafik 4: Rollenübernahme im Monodrama

Viel häufiger als im Psychodrama sind die Interaktionspartner im KB Symbole und nicht reale Personen. Im KB erlangen gemäß der zugrundeliegenden Theorie Subjektstufe und Symbol- ebene ebenso an Bedeutung wie das Unbewusste und die Übertragung. Als Folge des Rollentausches und der Rollenübernahme, „…wird der Patient durch neue Objektrepräsentanzen bereichert, wodurch es zu einer Erweiterung seiner Fähigkeiten und Ich-Leistungen kommt. Dies stellt im Sinne der Objektbeziehungstheorie einen strukturbildenden Prozess dar.“ (Ladenbauer 2000, S 17)

Beispiel:
Eine Patientin sieht sich im KB einem Drachen gegenüber, der plötzlich aus den Büschen hervortritt, während sie Pilze sucht. Die Patientin erschrickt, erstarrt, weiß nicht wohin sie fliehen könnte. Die Therapeutin schlägt ihr einen Rollentausch vor, den sie problemlos vollzieht. In der Rolle des Drachen erlebt die sonst schüchterne Frau ein bis dahin nicht gekanntes Gefühl an Stärke und Macht. Sie will als Drache das Menschlein nicht töten, sondern sich ihm neugierig nähern. Wieder zurück in ihrer Rolle verringert sich die Angst und Fluchttendenz und sie nimmt mit dem Drachen vorsichtigen Kontakt auf.

Indiziert sieht Ladenbauer (2000) den Rollentausch in der KIP

  • bei fixierten Bildern,
  • zur Konfrontation mit der eigenen Fantasie über den anderen,
  • zur Beziehungsklärung, zur Differenzierung der Eigen- und Fremdwahrnehmung,
  • zur Anreicherung und zum Erleben neuer Aspekte,
  • zur Musterunterbrechung,
  • zum Erlebenlassen der eigenen und fremden Grenzen und der persönlichen Ganzheit,
  • zum Erleben von regressiven, auftankenden Szenen und von progressiven Möglichkeiten,
  • zum Üben und Aushaltenlassen von Bedrohung, Angst und Aggression.

Lässt sich das Psychodrama auf die innere Bühne verlegen wie z.B. Klaus Jensen (1996) seine einzeltherapeutische Arbeit beschreibt?

Zweifellos eröffnet der Rollentausch auf der inneren Bühne ebenso neue Perspektiven wie jener auf der psychodramatischen Bühne. Die tatsächliche Handlung stellt jedoch eine höhe- re Anforderung an den Protagonisten, einerseits durch die „Veröffentlichung“, was sich auf die Beziehung zu anderen entscheidend auswirkt und andererseits durch die Realitätsüberprüfung.

Die Vorteile des Rollentausches auf der inneren Bühne sind dementsprechend komplementär. Die Privatheit gestattet auch Experimente, die nicht oder noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Der Rollentausch auf der inneren Bühne ist zweifellos ein sanfterer Zugang und damit vielleicht eine erste Annäherung.

Die Veränderung die mit diesem „sanften Zugang“ auf der Symbolebene erreicht wird, darf jedoch nicht unterschätzt werden. Die Intervention in der KIP darf nicht als reines Probehandeln missverstanden werden.

Im KB wird quasi selbstverständlich auf der Symbolebene gedacht und damit jeder Dialog auch in seiner symbolischen Bedeutung gesehen. Die Wirksamkeit der psychodramatischen Arbeit auf der Symbolebene wird meiner Meinung nach unterschätzt oder vielfach nicht wahrgenommen. Die Betrachtung einer Szene auf der Symbolebene ist für viele nur in der psychodramatischen Traumarbeit oder in der Arbeit mit Märchen und Phantasien vertraut.

Alle Ebenen (Fürst & Wilhelmer 1995) bei jeder Form der Begegnung auf der Bühne zu se- hen und in Betracht zu ziehen, halte ich für die Hypothesenbildung eines Psychodramaleiters oder –leiterin ungemein wichtig.

Blomkvist L.D., Rützel T. (1994) betonen in ihrer psychodramatischen Arbeit die Gemeinsamkeit der Strukturen des Unbewussten und der psychodramatischen Bühne. Mit dem Konzept der surplus reality, in der Einheit zwischen Phantasie und Realität wieder hergestellt ist, zu arbeiten, bedeutet auch im Psychodrama die Symbolebene und die Surrealität des Unbewussten mitzudenken.

Der scheinbar nahtlose Übergang zwischen zwei Methoden wie Psychodrama und Katathym Imaginative Psychotherapie, wie er hier anhand des Rollentausches dargestellt ist, soll nicht über die erheblichen Unterschiede in Technik und Grundlagentheorie hinwegtäuschen.

Viele Techniken des Psychodramas wurden seit Moreno in andere Methoden übernommen. Im KB wurde der Rollentausches bzw. die Rollenübernahme als Technik übernommen, weil sich seine Wirksamkeit in der praktischen Arbeit gezeigt hat. Jede gelungene Integration führt nicht nur zu einer Veränderung des aufnehmenden Teiles, sondern auch des aufgenommenen. Die genaue Betrachtung lässt Details erkennen, die ohne diesen Prozess wohl verborgen geblieben wären.


Literatur

Blomkvist L. D., Rützel T. (1994): Surplus reality and beyond. In Holmes, P., Karp, M., Wat- son, M. (Hrsg.): Psychodrama since Moreno. 235-261. London

Désoille (1945) : Reve éveillé en psychotherapie. Paris

Dudler A., Neumann E. (1996): Das innere Theater der Seele. Psychodrama, 1, 1996, 63-93

Enneis, J., Moreno, J.L. (1950): Hypnodrama und Psychodrama. Psychodrama Monographs 27. Beacon, N.Y

Happich, C. (1932): Das Bildbewusstsein als Ansatzstelle psychischer Behandlung. Zentralblatt Psychotherapie, 5, 633-643

Holmes, P. (1992): The Inner World Outside. London

Ladenbauer (1999): Systematik der Techniken in der Begleitung katathymer Bilder (KB). Imagination, 1, 1999, 73-78

Ladenbauer (2000): Der andere (Anteil) im KB. Imagination, 2, 2000, 5-34

Leuner, H. (1955): Symbolkonfrontation, ein nicht-interpretierendes Vorgehen in der Psychotherapie. Arch. Neurol. Psychiat., 76, 23-49

Leuner, H. (1980): Katathymes Bilderleben, Ergebnisse in Theorie und Praxis. Bern

Leutz, G. (1974): Das klassische Psychodrama nach J. L. Moreno. Berlin

Kellermann, P. F. (1992) : Focus on Psychodrama. The Therapeutic Aspects of Psychodrama. London

Kellermann, P. F. (1994): Role Reversal in Psychodrama. In Holmes, P., Karp, M., Watson, M. (Hrsg.): Psychodrama since Moreno. 263-279. London

Moreno, J. L. (1915): Einladung zu einer Begegnung. Wien und Leipzig

Moreno, J.L. (1920): Das Testament des Vaters. Berlin Potsdam

Rojas-Bermudaz, J., Moyano Rojas-Bermudaz, G. (1999): Dream Images and Psychodramatic Images. III. meeting of the Federation of European Psychodrama Organisations. Sevilla

Verhofstadt-Denève, L. (2000): Theory and Practice of Action and Drama techniques. London