Psychodrama…Psykodrama…psicodrama…psicodramma…פסיכודרמה…Психодрама: Das Psychodrama im Einfluss von Kulturen

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von Jutta Fürst

 

Abstract

The different psychodramatic stiles are focused from the view-point of cultural influences. Various reasons lead to the difficulty to identify cultural caused differences in psychodrama. The categories of social sciences are only partly suitable for this purpose because the individual variety is mostly larger than the cultural. But there are trends and tendencies influenced by history and tradition that can be described. The attempt to present them should serve an understanding of the basic history of a culture and should lead to a greater acceptance of the differences as an expression of it. Although psychodrama is a well structured method it can easily adjusted to cultural circumstances whenever needed.

Zusammenfassung

Die verschiedenen psychodramatischen Stile werden aus dem Blickwinkel des kulturellen Einflusses betrachtet. Kulturell bedingte Unterschiede im Psychodrama sind aus verschiedenen Gründen schwer fassbar. Die Kategorien der Sozialforschung sind dafür nur teilweise geeignet, da die individuellen Variationen oft größer zu sein scheinen, als die kulturellen. Dennoch lassen sich zumindest Strömungen oder Tendenzen erkennen, die durch die Geschichte und Tradition einer Kultur verursacht wurden. Der Versuch diese zu beschreiben, soll dazu dienen, die zugrunde liegende Geschichte zu verstehen und die Verschiedenheit als Ausdruck dieser zu sehen. Das Psychodrama scheint trotz vorgegebener Struktur bestens dafür geeignet zu sein, sich den jeweiligen kulturellen Erfordernissen anzupassen


 

Einleitung

Meine Freundin und ich waren gerade im Begriff in Bursa (Türkei) ein altes türkisches Bad für Frauen aufzusuchen. Die alte Frau am Eingang signalisierte uns deutlich mit ihrer Handbewegung, dass wir verschwinden sollten. Wir fühlten uns fremd und unerwünscht. Wir wichen zurück, zögerten aber endgültig umzukehren, da die Bewegung stärker wurde, je mehr wir Anstalten machten uns zu entfernen. Die Frau wirkte durchaus nicht unfreundlich und wir starteten einen neuen Versuch näher zu kommen. Schließlich packte sie uns und zog uns in das Haus.

Eine kleine Drehung der Hand, bei der ihre Fingerspitzen nach unten zeigten, erweckte für uns den Eindruck, unerwünscht zu sein. Nicht weiter schlimm. In anderen Situationen können Missverständnisse schwerwiegende Folgen haben. So schätzen ÄrztInnen in 61 Prozent der Fälle den Schweregrad der Beschwerden türkischer PatientInnen anders ein, als die PatientInnen selbst. Diese Differenzen erklären sich unter anderem aus der Art und Weise der Vermittlung. Fehlbehandlungen durch Missinterpretationen aufgrund kultureller Unterschiede sind somit auch in der ärztlichen Praxis zum Thema geworden. (Yildirim-Fahlbusch 2003)

Für jede Art von Therapie ist die Beziehung zwischen Behandler und PatientIn essentiell, aber auch die Form, in der die Behandlung durchgeführt wird. Sie muss der Tradition und dem Verständnis des oder der Kranken von Heilung entsprechen. Eine Anpassung einer Heilmethode an die Bedingungen des Landes, in dem sie angewandt wird, ist unabdingbar. Silvester Ntomchukwu Madu (2002, S. 555) schreibt: „Since the Western forms of psychotherapy are foreign to African people, they need to be adapted to African culture for effectiveness.” Somit scheint eine Psychotherapiemethode Vorteile zu bieten, die das Potential in sich trägt, sich den jeweiligen kulturellen und individuellen Gegebenheiten anzupassen.

Psychotherapiemethoden sind vom kulturellen Umfeld, indem sie entstanden sind und dem kulturellen Hintergrund dessen, der sie entwickelt hat, beeinflusst. Moreno war geprägt von verschiedenen Kulturen und Religionen als er begann das Psychodrama zu entwickeln. „ Als der erste Weltkrieg ausbrach, wusste niemand, ob ich Türke, Grieche, Rumäne, Italiener oder Spanier war, da ich keine Geburtsurkunde besaß.“ (Moreno 1995, S 15) Er betonte in der psychischen Entwicklung immer die Beziehungskomponente und die Szene mit der diese verbunden ist, stärker als innerpsychische Prozesse. Das Psychodrama ist durch eine gleich bleibende Struktur im Ablauf gekennzeichnet, zeigt sich allerdings ungemein anpassungsfähig, wenn man Beschreibungen psychodramatischer Arbeit liest, wie jene von Marcia Karp (1991, 95ff), wo das gelungene Warm-up in einer misslungenen Einkochprozedur bestand.

Die Patientin war eine 42 jährige bodenständige Frau aus Südengland, die in ihrer Kindheit jahrelang von ihrem Großvater, Onkel und Vater sexuell missbraucht worden war und auch bei ihrer Mutter kein Gehör oder Hilfe gefunden hatte. In den Jahren danach wollte sie, gequält von Schuldgefühlen und allein mit ihrer Angst, sterben. Sie wurde von einer Sozialarbeiterin zu einer ersten Therapiestunde begleitet, da sie sich das Treffen ohne Begleitung nicht zutraute. Gerade als sie ankamen, war Marcia Karp, die Therapeutin, dabei, Picallili, ein scharf gewürztes Essiggemüse, nach einem speziellen Rezept ihrer Tochter, zuzubereiten. Der Kochvorgang verlief nicht zu ihrer Zufriedenheit und sie lud die Patientin ein, sich das Desaster anzuschauen und ihr dabei zu helfen, ein annehmbares Ergebnis zu erreichen. Nach zehn Minuten, in denen sie von der begleitenden Sozialarbeiterin nicht ganz ohne Argwohn beobachtet wurden, war die Patientin ohne weiteres bereit, ohne Unterstützung einer andren Person die Therapiestunde zu beginnen. Sie vertraute dieser Therapeutin, die sie an ihrem alltäglichen Leben teilhaben hatte lassen.

Psychodrama kann aber auch Überlebenstraining sein wie das Beispiel von Jaime Rojas Bermudez zeigt, der über 20 Jahre eine Anarchistengruppe in Uruguay begleitete und dieser, psychodramatisches Handeln in ihrer Kommune lehrte.

Eines Tages wurden die Männer und Frauen der Kommune von Soldaten der Militärdiktatur verschleppt. Die Kinder blieben allein zurück. Die älteren von ihnen riefen daraufhin alle Kinder, die dadurch verwaist waren, zusammen und teilten sie nach deren soziometrischer Wahl älteren Kindern zu, die die Elterfunktion in der Abwesenheit der tatsächlichen Erziehungsberechtigten übernahmen. Sie hatten in den regelmäßigen psychodramatischen Sitzungen von Jaime Rojas Bermudes gelernt soziodramatisch zu denken und zu handeln. Durch diese „Neubeelterung“ wurde die Abwesenheit der Mütter und Väter von den Kindern besser verkraftet.

Yablonski (1966) beschreibt wie Psychodrama auch lebensrettend sein kann.

Der Autor arbeitete in dieser Zeit mit jugendlichen Gangs in New York. Als ihn eines Tages ein Bandenführer in Begleitung zweier Freunde mit gezogenem Messer auf der Straße ansprach und damit prahlte, ein bestimmtes Mitglied einer anderen Bande umbringen zu wollen, lud er die drei ein, in seinem Büro die Sache zu besprechen. Der Mord wurde schließlich psychodramatisch inszeniert, was wenigstens im Moment den Jungen davon abhielt, den Mord in der Realität zu begehen.

Ist das Psychodrama ein psychotherapeutisches Chamäleon?

 

Der Einfluss der Kultur

Gibt es Unterschiede in der Anwendung des Psychodramas, die sich auf den kulturellen Einfluss zurückführen lassen oder sind es lediglich Variationen, die durch den individuellen Stil und die Persönlichkeit des einzelnen Psychodramaleiters bzw. der Leiterin geprägt sind? Wie gut gelingt es, das Psychodrama den Gegebenheiten einer anderen Kultur anzupassen? Der Blick aus der Distanz führt allzu schnell in Stereotype und Vorurteile, während die exakte Beobachtung der Details die Gemeinsamkeiten nicht mehr erkennen lassen.

Ich versuchte mich dem Thema von zwei Seiten zu nähern. Es schien mir bedeutsam die Erfahrungen verschiedener Psychodramatiker, die in anderen Ländern Psychodrama Gruppen geleitet haben zu sammeln und generelle Unterschiede aufgrund eigener Beobachtungen und durch Vergleich von Techniken in der psychodramatischen Literatur zu beschreiben.

Meine Interviews mit KollegInnen beschränkten sich auf die Frage, wie sich die Techniken des Psychodramas im Umfeld verschiedener Kulturen veränderten, beziehungsweise ob sie selbst als LeiterIn ihre Interventionen modifiziert hätten.

Da Kultur recht unterschiedlich verstanden werden kann, möchte ich jene Definition an den Anfang stellen, die dieser Arbeit zugrunde liegt. Kultur umfasst das von einer Gruppe oder der Menschheit als Gesamtheit Geschaffene; Materielles und Geistiges, wie Schrift, Sprache und Verhaltensmuster eingeschlossen. Die Variationen dieser Kultur sind abhängig von Landschaft, Klima und Geschichte dieser Gruppe.

Kultur dient dazu das individuelle Denken bei der Reduktion von Unbestimmtheit zu entlasten, Problemlösungsverfahren anzubieten und Problemlösungen zu ritualisieren und zu routinieren. (Strohschneider 2003)

Gruppen entwickeln Handlungsfolgen oder Konserven, wie Moreno es genannt haben würde, die den Mitgliedern der Gruppe dabei helfen, mit immer wieder auftretenden Problemen des alltäglichen Lebens umzugehen. Zum Teil haben diese rituellen Charakter wie das Anlegen einer bestimmten Kleidung zu einem feierlichen Anlass und werden bewusst zelebriert (Macho 2004). Zum Teil sind es Segmente des Alltäglichen, deren Hintergrund nicht mehr wahrgenommen wird, wie zum Beispiel sich per Handschlag, mit Verneigen oder Umarmung und Kuss zu begrüßen.

Dazu gehören auch sprachliche Bilder, die dazu dienen, Situationen zu beschreiben und zu vermitteln. Es ist zweifellos ein anderer kultureller Umgang mit dem Abschied, wenn ich jemandem den Satz „Auf Wiedersehen“ mitgebe oder der Zurückbleibende beim Auseinandergehen „selamat jalan“ (indonesisch: „ Guten Weg“) und der Gehende „selmat tinggal“ (indonesisch: „Gutes Hierbleiben“) sagt. Die deutsche Phrase drückt den Wunsch nach der Wiederherstellung der Gemeinsamkeit aus, während die indonesische Variante die Akzeptanz der Trennung miteinschließt und der zum Abschied geäußerte Wunsch die Situation des jeweils anderen berücksichtigt.

In diesen Phrasen ist ein Stück Lebenshaltung codiert.

Es ist sicher unzulässig, wie im Folgenden, Kulturen auf Kontinente zu reduzieren, schon gar nicht, wenn Kontinente aus einer Vielfalt von Kulturen zusammengesetzt sind. In den USA und Australien, beides klassische Einwanderungsländern, sind zwar Kulturen aus der ganzen Welt anzutreffen, die sich aber zumindest teilweise auf gewisse gemeinsame Werte, Rituale und Gepflogenheiten geeinigt haben.

Die Reduktion auf Kontinente, wie ich sie hier vorgenommen habe, drückt den Mangel an genaueren Daten aus, soll zur Diskussion anregen und im besten Fall das Interesse für Unterschiede und deren Hintergrund wecken.

 

Psychodrama in den verschiedenen Ecken der Welt

Morenos Schüler und Schülerinnen kamen aus allen Ecken der Welt, wendeten die Methoden in verschiedensten Ländern an und gründeten Ausbildungsstätten in anderen kulturellen Umfeldern.

Lateinamerika

Dalmiro Bustos, Monika Zuretti und Jaime Rojas Bermudez waren die ersten in Argentinien und brachten das Psychodrama in andere südamerikanische Staaten. Es konzentriert sich auf die Länder Argentinien, Brasilien, Uruguay, Chile, Ecuador und Mexiko. Ist das lateinamerikanische Psychodrama anders als das europäische oder nordamerikanische?

Aus der Distanz betrachtet fällt auf, dass in Lateinamerika das Soziodrama einen sehr hohen Stellenwert hat. Psychodrama in seiner Anwendung ist dort öffentlicher und politischer als anderswo. „Wenn das Land in der Krise ist, kann man nicht in der Praxis sitzen bleiben!“ schreibt Dalmiro Bustos (1990)

Die Einbeziehung der politischen Situation, der Fokus auf die Gruppe, der ganzheitliche Ansatz, und die stärkere Betonung der spirituellen Dimension haben ihre Wurzeln in der Geschichte Lateinamerikas (Barreira I. et al. 2002). Sichtbar werden diese Schwerpunkte in den Publikationen, Vorträgen („La Armonia Quimica de los Grupos“ von Monica Zuretti,) und Seminaren („Psicodrama y Ballenas“ von Monica Zuretti und Felicitas Mira 2000) sowie in Großevents, wie das 2001 in Sao Paolo (Brasilien)

durchgeführte konfliktorientierte Arbeiten mit Gruppen an vielen Plätzen der Stadt, an dem geschätzte 8.000 Menschen teilnahmen.
Schon früher gab es öffentliche Psychodramagruppen und soziodramatische Aktionen, wie jene von Jaime Rojas Bermudez bei diversen Veranstaltungen oder die Solidarisierung von Angehörigen während des Falklandkrieges oder während der bürgerkriegsähnlichen Zustände in Argentinien vor einigen Jahren. Viele Titel von Büchern und Artikeln dokumentieren die Auseinandersetzung mit dem soziodramatischen Themenbereich. Auch das Psychodrama im Einzelsetting wird immer im Gesamtkontext der gesellschaftlichen Situation gesehen. Augusto Boal (1989), der Begründer des Theater der Unterdrückten bezieht sich selbst nicht auf Moreno. Es erübrigt sich darüber zu phantasieren ob er von dessen Ideen beeinflusst wurde. Auffallend ist, dass er ähnliche Methoden, wie das „living newspaper“, soziodramatische Arbeitsweisen oder Formen wie das Playbacktheater radikal politisch für unterdrückte Menschen einsetzte.

Dalmiro M. Bustos zitiert in seinem Artikel „Roots and Wings (1994, S. 64) einen Dialog mit Moreno. „I know Moreno wished that I would use my wings. I once asked him, whilst playing his role in a psychodrama about this. He replied:” If you keep my lineaments in a dogmatic way you would be betraying me. I told you to “be yourself” and not try to be me.”

Nordamerika

Ähnlich den raschen persönlichen Kontakten, die in den USA zum Alltäglichen gehören, und die in Europa nur nach einem langem Begegnungszeremoniell möglich sind, ist das Psychodrama in den USA aus meiner Sicht schneller und forcierender.

Auch in den USA ist die Form der ProtagonistInnenwahl (Blatner 1988) durchaus variabel. Gänzlich unüblich ist in unseren Breiten eine Vorauswahl durch die/den Therapeutin/en oder gar eine Liste der ProtagonistInnen, die deren Reihenfolge im vorhinein festlegt. Die Variante, dass ein Gruppenmitglied sein Problem auf die Tagesordnung der nächsten Gruppensitzung in einer Woche setzen lässt, ist auch in anderen gruppentherapeutischen Verfahren dort üblich.

Betritt in den USA ein Hilfs-Ich die Bühne, wird dieses meist nicht „eingekleidet“, indem der/die Protagonist/in sich hinter das Hilfs-Ich stellt und die Gedanken und Gefühle der/des Antagonistin/en ausspricht ähnlich einem Doppel, wie es in Österreich verbreitet ist. Das Hilfs-Ich wird im Gegensatz dazu, ohne weitere Vorbereitung, aufgefordert sofort selbst in der Rolle der/des Antagonistin/en zu denken und zu handeln. Ein kurzes Interview, bzw. der innere Monolog bringt das Hilfs-Ich rasch in die Rolle. Dadurch wird die Handlungsabfolge beschleunigt.

Joe wird gefragt, sich jemanden aus der Gruppe (nennen wir ihn Bill) zu holen, um ein Hilfs-Ich zu spielen. Bill kommt auf die Bühne und der Leiter erwärmt ihn unmittelbar für die Rolle. Leiter: Herr Jones, Sie haben Joe gebeten heute zu kommen… er kann sie gerade nicht hören….. wenn sie gerade laut denken, einen inneren Monolog machen. Lassen Sie uns hören was Sie zu sagen haben bezüglich der Gründe warum Sie ihn sehen wollen.
Hilfs-Ich: (Bill als Herr Jones) Gut, Joe war nicht gerade gut in seiner Arbeit.
Leiter: (schaut zu Joe) Stimmt das?
Joe: Nein, dass ist es nicht… meine Arbeit ist in Ordnung.
Leiter: Rollentausch ….. Joe sei Herr Jones und beginne mit der Begegnung
(Blatner, S 63 Übersetzung durch Autor).

Der Psychodramaleiter bzw. die -leiterin stellt der Protagonistin seltener Alternativen, sondern schlägt oft eine Handlungsvariante vor.

Barbara sitzt im Kreis einer Psychodramagruppe und äußert in der Anfangsrunde dass sie Probleme mit ihrer Mutter habe, die sie bevormunde. Der Psychodramadirektor steht auf, nimmt einen Stuhl, stellt diesen vor Barbara auf und sagt:
„ Sag deiner Mutter wie dir zumute ist und dass dich das nervt.“

Dies beschleunigt den Spielablauf und entlastet die Protagonistin Entscheidungen zu treffen, ist damit aber auch direktiver. Auch in der Integrationsphase gibt es kleinere Unterschiede. Sharing, Rollenfeedback und Identifikationsfeedback werden meist nicht getrennt.

Europa

Um das europäische Psychodrama sehen zu können, bräuchte es den Blick aus der Distanz. Es scheint mir jedoch bemerkenswert, dass sich gerade in Europa Methoden entwickelt haben, die die Geschichte in den Vordergrund rücken, wie das Transgenerational Genogramm von Ancelin Schützenberger ( 2001). Ihr 1993 in Frankreich veröffentlichtes Buch zu diesem Thema ist sehr erfolgreich und wurde bereits nach kurzer Zeit in viele Sprachen übersetzt.

Eine Frau kam zu Anne Ancelin Schützenberger mit der Angst, ihre kleine Tochter, die unter schwerem Asthma litt, könnte sterben. Diese Befürchtung gründete auf ihrer Familiengeschichte, in der über Generationen immer das erstgeborene Kind gestorben war. Die Vorfahren der Frau waren Bauern, die in Savoyen sesshaft waren. Während der Schreckensherrschaft der Revolution hielt die Familie einen Priester versteckt, der sich mit einem Segen bei ihnen bedankte, indem er verkündete dass der Älteste jeder Generation auf diese aufpassen werde. In den folgenden zwei Jahrhunderten verstarb zufällig der Älteste jeder Generation als Kind und wurde zu einem „kleinen Engel im Himmel“, der auf die Familie „aufpasste“.

Die Therapeutin erarbeitete mit der Frau eine Umdeutung dieses Spruches, indem sie verschiedene Formen des Aufpassens betrachteten. So könnten Menschen in zahlreichen nützlichen Berufen wie Krankenschwestern, Ärzte, Priester diese Rolle übernehmen. Nicht nur Engel waren dazu geeignet. Kurze Zeit nach diesem Reframing wurde das Kind gesund.

Die Ausklammerung des Sterbens und des Todes, wie sie in den westlichen Kulturen, hier mit Einbeziehung Nordamerikas, zunehmend erfolgt, führte zur Entwicklung spezieller Techniken, die den emotionalen Kontakt zu verstorbenen Menschen wiederherstellen hilft und auch aus traumatisierenden Verlusterlebnissen einen Gewinn schöpfen lässt. Filguera Bouza M.& Espina Barrio J.A. (2000) Es handelt sich dabei um eine Weiterentwicklung, die nur in unserer westlichen, technisierten Kultur vollzogen wurde.

Auch die Arbeit mit den einzelnen PatientInnen mit den expliziten Techniken des Monodramas (Erlacher-Farkas, Jorda 1996) und die Auseinandersetzung mit den inneren Prozessen (Holmes 1992) scheint ihren besonderen Nährboden in der europäischen Kultur zu haben.

In der Literatur fällt auf, dass in Europa im Gegensatz zur eher anwendungsorientierten Beschreibungen, theoretische Diskurse mehr und mehr Bedeutung gewinnen. Die Anwendungsbereiche des Psychodramas selbst werden deutlicher voneinander abgegrenzt, was besonders durch gesetzliche Regelungen in der Psychotherapie und Supervision forciert wurde. Psychodramatische Techniken und Arbeitsweisen werden klientel- und situationsbezogen ausformuliert. Eine Entwicklung, die in keinem anderen Kontinent in diesem Maße bisher von statten ging.

Die verschiedensten Techniken und Veröffentlichungen zur Traumarbeit im Psychodrama kommen mehrheitlich aus Europa. Es wurden in verschiedenen europäischen Ländern sehr unterschiedliche Theorien und Techniken zur psychodramatischen Bearbeitung von Träumen entwickelt.

Auch in der Kindertherapie sind eigenständige und elaborierte Formen entstanden (Pruckner 2001, Aichinger 1997). In Europa wird in der Kindertherapie vorwiegend nicht mit den real erlebten Szenen gearbeitet wie in den USA, sondern auf der Symbolebene.

In den vergangenen Jahrzehnten stand das europäische Psychodrama stärker im Dienste einer Aufarbeitung von Vergangenem und in der Lösung von Konflikten, was dazu führte, dass spezielle Techniken entwickelt wurden, die diesem Prozess dienlich sind, wie z.B. die Auseinandersetzung mit Familienangehörigen, deren Geschichte mit dem 2.Weltkrieg verbunden war. Barbara Legeler entwickelte dazu ein spezielles Setting.

Die Leiterin lässt die TeilnehmerInnen der Gruppe die Namen jener Familienangehörigen aufschreiben, die in der Zeit des Nationalsozialismus gelebt haben. Erstaunt muss ich feststellen, dass mir einzelne Namen nicht einfallen wollen. Wir können uns entscheiden mit welcher/m Verwandten wir uns auseinandersetzen wollen, welche Frage wir gerne an jemanden richten wollen, unabhängig davon, ob diese/r noch am Leben ist oder nicht.
Das folgende Gespräch wird mit Hilfe von zwei Stühlen monodramatisch durchgeführt. Ähnlich dem transgenerationalen Ansatz von Ancelin Schützenberger werden versteckte Botschaften und Familiengeheimnisse gelüftet und erfolgt eine Reintegration abgespaltener Rollen.

Jacoov Naor und Hilde Gött wiederum arbeiteten mit Gruppen, die der zweiten Generation von Holocaustüberlebenden und Angehörigen der nationalsozialistischen Partei angehörten.
In den letzten Jahren findet man auch eine Tendenz Grenzen zu überwinden und Zugang zu fremden Kulturen zu schaffen. Dies kann einerseits als Reaktion auf die Erweiterung der europäischen Union verstanden werden, aber auch als Folge einer allgemeinen Globalisierung. Dieser Impuls ist auch im Psychodrama spürbar. Es ist Herausforderung und Bestreben zugleich. Es wurden von Jörg Burmeister (2003) und Gabor Pinter Techniken entwickelt mit Menschen verschiedener Kulturen in Großgruppen zu arbeiten und Seminare und Symposien angeboten, die sich im Besonderen mit diesem Thema auseinandersetzen. Dabei wurde der archaische Stoff beeinflusst durch den jeweiligen kulturellen Hintergrunde und der augenblicklichen sozialen Situation unterschiedlich bearbeitet.

Asien

Mittlerweilen gibt es Psychodrama Institute in im Nahen Osten sowie in Indien, China, Korea und Japan. Die bedeutendste chinesische Vertreterin ist wohl Gong Shu, die in sich selbst jenen ganzheitlichen Ansatz vereint, der auch anderen chinesischen Heilverfahren eigen ist.
Gong Shu hat vergleichende Literaturwissenschaften, sowie Kunsttherapie und Beratungspsychologie studiert. Sie hat Ausbildungen in Psychodrama, Gestalttherapie, Imaginativer Therapie und traditioneller chinesischer Medizin. Im Augenblick arbeitet sie psychodramatisch in Westafrika in einem kulturübergreifenden Projekt zur Konfliktresolution.

Afrika

Europäischen TherapeutInnen beschreiben folgende Merkmale in der psychotherapeutischen Arbeit in Afrika, die diese von anderen Kulturen unterscheiden. Ritualen wird eine hohe Bedeutung im Heilungsprozess eingeräumt (Spitzer 2002) Weiters hat das Individuum geringere Bedeutung als das Kollektiv. Magische Elemente werden hoch bewertet, das heißt dass Zauberei und deren Auswirkungen im therapeutischen Prozess thematisiert werden müssen. Generell müssen traditionelle Heilungsformen in die Therapie miteinbezogen werden, damit die behandelten Menschen in ihrerdörfliche Gemeinschaft wieder integriert werden können.

Ein 16 jähriger Junge, der in dem Projekt GUSCO zur Reintegration von Kindersoldaten in Norduganda betreut wurde, muss sich einem Reinigungsritual unterwerfen, um wieder in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Er leidet auch nach der Therapie an Schlafstörungen und Albträumen und seine Familie glaubt, dass er vom Geist eines getöteten Menschen heimgesucht wird. Eine traditionelle Heilerin treibt den Geist mit Hilfe verschiedener Rituale aus, die von Beschwörungen und Tänzen der Gemeinschaft begleitet sind. Die Beschwerden sind nach einigen Tagen nach der Zeremonie verschwunden. (Spitzer 2002, S 297f)

Psychodrama ist in Afrika noch recht wenig verbreitet, obwohl es bereits Gruppen in verschiedenen Teilen des Kontinentes gibt. Es bestehen wesentliche kulturelle Unterschiede bestehen zwischen dem levantinischem Nordafrika und dem ländlichen Zentral bzw. Südafrika, wenngleich Zauber und Ritual in allen afrikanischen Kulturen einen hohen Stellenwert haben.

In Tunesien ist es üblich, dass Väter die bereits eine Reihe von Töchtern haben und auf einen männlichen Nachkommen hoffen, dem letzten weiblichen Kind den Namen „Delenda“ geben. Es handelt sich dabei um einen Namen, der auf eine Verwünschung Catos zurückgeht, der während der Punischen Kriege im Senat diesen Satz ausstieß: „Ceterum censeo, Carthaginem esse delendam!“ („Im Übrigen bin ich dafür, dass Carthago zerstört wird.“) Es ist ein Fluch, der ausdrückt, dass die Reihe der weiblichen Nachkommenschaft zerstört werden soll und bewirken soll, dass nunmehr Söhne zur Welt kommen. (Ancelin Schützenberger 2001, S.179)

Es scheint absehbar, dass sich unter Einbeziehung der oben erwähnten Teile eine eigenständige psychodramatische Arbeitsweise entwickeln wird. Das Psychodrama mit seinem bereits stark entwickelten rituellen Ablauf und der Handlungsorientiertheit bietet dafür offensichtlich eine gute Voraussetzung.

Australien

Das Psychodrama in Australien und Neuseeland dessen prominenteste Vertreter Sue Daniel, Anthony Williams und Max Clayton sind, ist einerseits durch einen sehr freien und spontanen Umgang mit den Techniken gekennzeichnet, durch eine starke Einbeziehung der Zuschauer und der Betonung der Rolle. Die direkte, klare Beziehungsaufnahme und die Zielverfolgung ohne Umwege scheint ein Kennzeichen des australischen Psychodramas zu sein.

Als Max Clayton in Oxford anlässlich einer Psychodramakonferenz die Bühne betrat, um ein Psychodrama zu leiten, war der Raum bereits gerammelt voll. Es waren sicher an die hundert Psychodramatiker aus aller Welt anwesend. Bevor noch jeder Luft holen konnte, begann ein Feuerwerk an Entertainment, das Frank Sinatra alle Ehre gemacht hätte. Im Nu war ein Protagonist gewählt und das Spiel begann. Ich kann mich nicht mehr an den Inhalt des Spiels erinnern. Der Protagonist schien nicht die wichtigste Person in Raum zu sein. Es ging nicht so sehr um die Beziehung und das Problem eines einzelnen, sondern um die Beteiligung aller. Die Geschwindigkeit der Kontaktaufnahme und der Kontaktbeendigung in humoriger und launiger Weise war für mich als Österreicherin faszinierend und beängstigend gleichzeitig.

Max Clayton veröffentlichte zahlreiche Bücher und Artikel zum Thema Rollenanalyse und psychodramatischer Arbeit mit Rollen. (Directing Psychodrama, Enhancing Life and Relationships: A Role Training Manual, Living Pictures of the Self: Applications of Role Theory in Professional Practice and Daily Living and Effective Group Leadership) Obwohl auch Antony Williams besonders Wert auf rollentheoretische Aspekte legt, ist sein Schwerpunkt ein pragmatischer. Als Consulter und Supervisor arbeitet er zielorientiert und verbindet den systemischen und psychodramatischen Ansatz zu einer Einheit („Visual and Active Supervision“, „The passionate Technique: Strategic Psychodrama with Individuals, Families and Groups“, Forbidden Agendas: Strategic Action in Groups.“)

 

Kulturelle Unterschiede aus der Sicht der Sozialwissenschaften

Sozialwissenschaftler wie Hofstede (1997) und Hall (1969) haben versucht kulturelle Unterschiede durch Kategorienbildung beschreibbar zu machen.
Hofstede (2003) versuchte in seinen makroanalytischen Betrachtungen die kulturellen Unterschiede auf überschaubare Dimensionen zu reduzieren. Er unterschied zwischen

  • Machtabstand (Power Distance)
  • Männlichkeit (Masculinity),
  • Unsicherheitsvermeidung (Uncertainty Avoidance) und
  • Langzeitorientierung (Long Term Orientation).Kulturen mit hohem Machtabstand weisen demnach starke Hierarchien auf und Mitarbeiter erwarten klare Anweisungen von ihren Vorgesetzten.

Man könnte daher von der Annahme ausgehen, dass Kulturen die einen hohen Wert in der Kategorie Machtabstand aufweisen, ein direktiveres psychodramatisches Leiterverhalten hervorbringen, als jene mit einem sehr niederen Wert. Auf dieser Skala weisen z.B. Malaysia und die Philippinen die höchsten Werte auf, Österreich einen der niedersten. Aus den erstgenannten Staaten fehlen uns Informationen, aber das österreichische Psychodrama ist zweifellos gekennzeichnet durch eine äußerst geringe Einflussnahme durch den Leiter, was durch die in Österreich entstandenen speziellen Techniken des Monodramas und des Kinderpsychodramas nach Pruckner (2001) untermauert wird.

Kulturen mit einem hohen masculinity index weisen Männern eine größere Bedeutung und höhere Machtpositionen zu als Frauen. Diese kulturbedingte Geschlechtsrollendefinition kann dazu führen, dass es z.B. als Frau nicht möglich ist, eine Psychodramagruppe mit männlichen Teilnehmern zu leiten. Dies erlebte Dag Blomquist, ein schwedischer Psychodramatiker, der gemeinsam mit seiner Partnerin eine Gruppe in Indien leitete.

Der Grad der Unsicherheitsvermeidung weist auf die Häufigkeit von Regeln hin, die dazu dienen, Unsicherheit zu vermeiden. Arbeitsabläufe werden in solchen Kulturen klar strukturiert und vorausgeplant.

Die Langzeitorientierung bei Hofstede bestimmt den Grad, in der eine Gruppe entweder von Tradition oder Zukunftsorientiertheit geleitet ist. Konsekutives versus synchrones Zeittempo bei Trompenaar (1993) beschreibt die Form des Umgangs mit der Zeit. Hall (1969) bezeichnet konsekutive Kulturen als monochrone Kulturen. Sie lösen Probleme eines nach dem anderen. Termine werden penibel eingehalten. Die Menschen sind problemorientiert und weniger personorientiert, während sie in polychron orientierten Kulturen, vieles gleichzeitig erledigen. Die Termine werden der Situation und wechselnden Prioritäten angepasst.

PsychodramatikerInnen betonen, dass in allen polychronen Kulturen mit der Einhaltung von Zeitstrukturen, wie sie in monochronen Kulturen üblich ist, nicht gerechnet werden darf und es kontraproduktiv wäre, auf diese Strukturen zu insistieren.
Eine weitere Kategorie, die sich auch bei Fons Trompenaar (1993) findet, ist der Grad der Individualität beziehungsweise des Kollektivismus. In kollektivistischen Kulturen orientieren sich die Mitglieder stark an der Gruppe und beziehen daraus ihre Identität. Nicht die individuelle Leistung zählt, sondern die Anerkennung durch die Gruppe. Dieses Merkmal könnte die Betonung des Soziodramas in Lateinamerika ebenso erklären, wie die Entwicklung von Monodrama und innerpsychischen Sichtweisen in Europa.

Fons Trompenaar (1993), der insgesamt sieben Kulturdimensionen vorschlägt, ergänzt noch Unversalismus versus Partikularismus. Weiters unterscheidet er affektive versus neutrale Kulturen. Affektive Kulturen schätzen den Ausdruck von Emotionen, neutrale schätzen eher deren Unterdrückung.
Der Umfang an Warm-up Techniken unterscheidet sich, ob zum Beispiel in Sizilien, einer eher affektiven Kultur oder in Norditalien, einer eher neutralen Kultur, Psychodrama inszeniert wird. Affektive Kulturen brauchen deutlich weniger Warm-up Techniken als neutrale.
Unter der Kategorie spezifisch –diffus beschreibt er den Umgang einer Kultur in Bezug auf die Vermischung von verschiedenen Lebensbereichen.
In spezifischen Kulturen sind die Lebensbereiche stark getrennt, in diffusen durchdringen sich Privates und Berufliches. Beziehungen brauchen lange, halten dafür aber länger.

Abbildung 1: Verhältnis zwischen privatem und öffentlichen Bereich in spezifischen und diffusen Kulturen

Hall (1969) nennt diese Kulturen high context cultures. Während low context cultures, wie z.B. USA, Deutschland, Skandinavien sich durch die hohe Bedeutung der Schrift, der direkten Konfrontations- und des klaren Kommunikationsstiles bedienen, ist der Kommunikationsstil in high context cultures, wie z.B. im arabischen und lateinamerikanischen Raum, in Japan und Italien bildorientiert, ganzheitlich und indirekt.

In Indien wurden im letzten Jahr drei große Projekte (Yarrow 2002) beschrieben, die psychodramatische Methoden zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen, zum Umgang mit natürlichen Ressourcen und zur Verbesserung des Standards einer unterprivilegierten Gruppe in Nordindien einsetzen. Diese drei Projekte wurden als überaus erfolgreich beschrieben. Gerade der ganzheitliche Lern und Veränderungsprozess auf der Handlungsebene zeigte sich als wesentlicher Wirkfaktor. (van Erven 1992)

Im Tibetischen z.B. spricht man nicht über persönliche Gefühle. Das Individuum, die Person ist unwichtig im Vergleich zum zu erreichenden Ideal. Psychotherapie wird unter solchen Prämissen zwangsläufig andere Inhalte haben, als in anderen Kulturen, in denen die individuelle Entwicklung im Vordergrund steht.

Später hat Trompenaar (1994) ein vereinfachtes Modell entworfen

Abbildung 2: Kulturdifferenzierungsmodell von Trompenaar(1994)

Er unterscheidet vier verschiedene Kulturformen je nachdem welchen der vier Kriterien sie näher stehen.

Gleichheit- und personorientierte Kultur
In dieser Kultur sehen sich die Mitglieder als gemeinsame Gestalter. Beziehungen werden ad-hoc gebildet mit dem Glauben, dass diese befruchtend sind.

Gleichheit- und aufgabenorientierte Kultur
In dieser Kultur steht das Objekt an oberster Stelle. Der gegenseitige Respekt ist auf Wissen und Erreichen des gemeinsamen Ziels begründet. Die Mitglieder werden als Experten auf ihrem Gebiet betrachtet.

Hierarchie- und personorientierte Kultur
In dieser Kultur ist die Vaterfigur der Führer. Dieser ist allmächtig und ist Inhaber der Wahrheit. Er bestimmt, wenn der Kurs verändert wird. Die anderen werden respektiert als Familienmitglieder. Sie basiert auf intuitivem und ganzheitlichem Denken.

Hierarchie- und aufgabenorientiert Kultur
Obwohl auch in dieser Kultur die Macht an eine Person delegiert wird, ist die Beziehung sehr distanziert. Die Beziehungen sind strukturiert vom Grund bis zur Spitze wie in einem mechanischen System. Personen werden als menschliche Ressource betrachtet.

Auch die kulturell bestimmte körperliche Distanz zwischen den Individuen ist ein Faktor, der im Psychodrama eine große Rolle spielt. So ist in Nordeuropa die offizielle Distanz zwischen Individuen größer als in Südeuropa. In manchen Kulturen sind Berührungen in der Öffentlichkeit ein völliges Tabu oder auch die Veröffentlichung von Gefühlen und persönlichen Konflikten. Gerade im Psychodrama in dem körperliche Nähe bzw. Distanz eine wesentliche Rolle spielen, muss dieser Aspekt mitbedacht werden.

 

Schlussfolgerungen

Das Psychodrama hat sich den verschiedenen Kulturen angepasst. Es wurden Schwerpunkte entwickelt, die den Gegebenheiten der Menschen und ihres Umfeldes und deren Bedürfnissen entsprechen.
Arbeitet ein Psychodramatiker oder eine Psychodramatikerin mit Menschen aus einem anderen Kulturkreis, so gilt es hellhörig zu sein, um die fremden Zeichen zu verstehen. Dabei können jene Erfahrungen genutzt werden, die PsychodramatikerInnen gesammelt haben, die bereits Seminare in fremden Ländern gehalten haben.
Chantal Neve Hanquet eine belgische Psychodramatikerin betont, wie wichtig es ist, sich an die örtliche Situation anzupassen und wie hilfreich ihr dabei die Verwendung des Landscape Genogrammes ist, das sie gemeinsam mit Jacques Pluymaekers entwickelte. Dabei werden die Gruppenteilnehmer eingeladen, ein Ereignis aus deren Familiengeschichten in einer kreativen Art zu repräsentieren. Anschließend folgen eine verbale Erklärung und Assoziationen der GruppenteilnehmerInnen und der Leiterin. Dadurch werden kulturelle Unterschiede schnell spürbar und bilden keine Barriere für das Verstehen und die Bearbeitung.

Am Beginn einer Gruppe in Bulgarien fiel ein bulgarisches Wort, das die Psychodramatikerin mit dem Wort „Konzentrationslager“ assoziierte. Sie teilte diese Assoziation der Gruppe mit, worauf die TeilnehmerInnen Geschichten und Szenen schilderten, die ihnen zu dieser Assoziation einfielen.
Es waren durchwegs Geschichten die von Verfolgung, Schuld und Demütigungen von Vorfahren handelten. Eine dieser Szenen wurde schließlich psychodramatisch bearbeitet. Die einzelnen Szenen spiegelten die Geschichte der Region, der Kultur wider, in der diese ihre Wurzeln hatten.

Dass die Geschichte und der kulturelle Hintergrund den Verlauf einer Gruppe beeinflussen, schildert auch Maurizio Gasseau aufgrund seiner Erfahrungen in Sizilien. Die Geschichte des Landes ist gekennzeichnet von Übergriffen von außen (von griechischen über szarazenischen, habsburgerischen und anderen Eroberungen) und Bedrohungen von Innen (von Bürgerkriegen bis zur Mafia) und führte zu vorsichtigem und misstrauischem Verhalten.
Die relative Sicherheit, die Menschen in ihrem sozialen Umfeld erleben, bestimmt ihre Bereitschaft, sich anderen anzuvertrauen und Privates zu veröffentlichen. Der Unterschied wird im Psychodrama besonders in der Dauer der vertrauensbildenden Maßnahmen sichtbar. Ängste, die durch die sozialen Gegebenheiten auftreten, gibt es in den ehemaligen Ostblockstaaten ebenso, wie in Ländern einer Militärdiktatur, aber auch in kleineren Regionen wie z.B. in Sizilien.

Ohne den Versuch die Geschichte und den Grund kultureller Gepflogenheiten, Gebräuche und Handlungen kennen und verstehen zu lernen und sich auf eine reine Beschreibung zu reduzieren, bleibt das implizite Ziel unerreicht, besser mit der fremden Situation umzugehen. Mac Lachlan schreibt:“ Kultur ist ein Gesundheits-Erhaltungs- System (De Vries1996) das gesundheitliche und soziale Mittel bereitstellt. Deshalb können Therapien, die keine Rücksicht auf die kulturelle Identität des Betroffenen nehmen, die ambitioniertesten Bemühungen einzelner Therapeuten um ihre Patienten untergraben.“

Die Sprache als Ausdruck einer Kultur ist dabei ein nicht unwesentliches Element. Sprachmelodie und Sprachfluss, Redundanz und Prägnanz geben zahlreiche Informationen über Kultur und Lebensstil. Was in manchen Kulturen breit umschrieben wird, benötigt in anderen wenig Worte. In der folgenden Szene, die sich auf einem Kongress ereignete, wird dieser Unterschied sichtbar.

Eine österreichische Teilnehmerin ist Protagonistin. Die Leiterin ist Amerikanerin. Da die Protagonistin nicht englisch spricht, übersetzt eine andere amerikanische Teilnehmerin, die einige Jahre vorher in Deutschland verbracht hatte, die Dialoge.
Protagonistin (auf die Frage, was sie jetzt fühlt): „Ich habe irgendwie den Eindruck, dass ich mich verstecken möchte. Mir ist alles zuviel und ich kämpfe mit den Tränen, weil mich das so belastet. Nein, ich möchte am liebsten losheulen.
Die TeilnehmerInnen der Gruppe, die allesamt nicht deutsch sprechen, warten gespannt.
Die Übersetzerin: „I am so sad.“

Kategorisierungen sind verführerisch, gaukeln sie doch vor, kulturelle Unterschiede abzubilden. Letztlich sind diese Dimensionen nur Werte auf einem Handlungskontinuum. Es bedeutet nicht, dass sich alle Individuen einer Population auf denselben Wert festlegen lassen. Die Variationsbreite unter den Mitgliedern eines Kulturraumes ist so groß, dass sich keine Voraussage im Hinblick auf das Verhalten eines einzelnen aus diesen Untersuchungen ableiten lässt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich zwei Mitglieder einer Kultur in ihrem Verhalten ähnlich sind, ist ebenso groß, wie im genetischen Bereich.
Es ist wahrscheinlicher, dass sich ein Österreicher und ein Chinese mehr gleichen, als ein Wiener einem anderen Wiener.

Nun führt die Rückführung bestimmter Verhaltensweisen zwangsläufig zu einer Verallgemeinerung, die die Gefahr in sich birgt, im Vorurteil zu enden und damit den Blick zu verstellen. Es könnte einerseits die individuelle Variation als Kulturcharakteristikum verkannt werden und andererseits übersehen werden, dass der persönliche Standpunkt kein wirklich objektiver für die Betrachtung einer anderen Kultur sein kann. Geertz (1987) versuchte durch möglichst detaillierte Beschreibungen die Unterschiede abzubilden. Eine Kulturbetrachtung aus makroanalytischer Sicht, die versucht Dimensionen und Kategorien herauszufiltern, anhand derer sich Kulturen unterscheiden, scheint mir ebenso zu kurz gegriffen, wie eine mikroanalytische Sicht, in der versucht wird , kommunikative Details zu beschreiben.
Einerseits muss die Komplexität reduziert werden, andererseits der Gegenstand noch operationalisierbar sein. Zwischen diesen Polen pendeln die makro- und mikroanalytischen Verfahren der Kulturforschung.

Moreno entwickelte mit dem Psychodrama eine Methode, die beeinflusst ist von jenen Kulturen, die ihn geprägt haben. Sie hat damit die besten Voraussetzungen sich auch verschiedensten Gegebenheiten erfolgreich anzupassen und von Menschen in anderen Kulturen als hilfreiches Instrument betrachtet zu werden. Das Psychodrama eröffnet durch seinen hohen Handlungsanteil Menschen verschiedenster Herkunft einen Zugang und nicht nur einer gebildeten Mittelschicht, die die Möglichkeit erlernt hat, Erlebnisse differenziert sprachlich zu codieren.

Die unterschiedlichen Stile und Interventionsformen die sich in den einzelnen Ländern entwickelt haben, werden manchmal von Psychodramatikern aus anderen Kulturen kritisch betrachtet oder in Frage gestellt. Andere Techniken müssen aber immer auch unter dem Blickwinkel ihrer kulturellen Bedeutung und Wirksamkeit gesehen werden.

Für PsychodramatikerInnen, die mit Menschen anderer Kulturen arbeiten, müssen fähig sein, vorurteilslos das aufzunehmen, was in einem anderen Land an Geschichte, Tradition und Bildern auf sie einströmt und der Gruppe, bzw. dem/der Protagonisten/in zu folgen, wohin er/sie geht.

Diese Offenheit scheint all jenen PsychodramatikerInnen gemeinsam zu sein, die erfolgreich mit Menschen aus verschiedenen Kulturen arbeiten, wenngleich die Strategien diesen Zustand zu erreichen, unterschiedlich sind.

So möchte ich Sue Daniels Antwort auf meine Frage, welche Erfahrungen sie in der Arbeit mit Menschen aus anderen Kulturen gemacht habe, an das Ende stellen: „The roles of active listener, clear seer and naive enquirer, wherever I am, have served me well.”


 

Literatur

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